30.10.2010 Nichts scheint dem Internet ferner zu sein als das Thema Pflanzen. Zwar gibt es viele Ratgeber-Seiten für Hobby-Gärtner & Pflanzen-Freaks, aber für echte Internet-Nerds spielt Grünzeug jeder Art keine Rolle. Sollte es aber!
Pflanzen sind die unterschätzten Lebewesen auf diesem Planeten. Warum rettet Noah in der biblischen Geschichte von der Arche nur Tiere und Menschen vor dem Ertrinken? Warum wird ständig der Mammutbaum vergessen, wenn über den Blauwal als größtes Lebewesen auf dem Planeten gesprochen wird?
In seinem Beitrag für TED Conference zeigt der italienische Neurobiologe Stefano Mancuso, wie sehr Pflanzen in der Geschichte der Wissenschaft unterschätzt wurden. Schon Aristoteles ignorierte Pflanzen als „beseelte“ Lebewesen, da sie sich vermeintlich nicht bewegen und daher nur geringe Sensorik benötigen.
Nicht erst seit heute -und das illustriert Mancuso an einigen sehr plastischen Beispielen- wissen wir, dass sich Pflanzen sehr wohl bewegen können. Die zuschnappenden „Kiefer“ der Venusfliegenfallen, sich zum Licht wendenden Blüten, die rankenden Bohnenpflanzen, all das und viele Beispiele mehr zeigen, wie sehr Pflanzen ihre Umgebung erobern und erschließen können.
Am Beispiel junger Sonnenblumen zeigt Mancuso sogar, dass Pflanzen „spielen“: Sie trainieren in einem frühen Stadium ihrer Entwicklung die Verfolgung des Sonnenlichts. Zeitrafferaufnahmen können dieses Phänomen belegen.
Pflanzen kommunizieren auch! Sie kommunizieren mit anderen Pflanzen oder auch mit Tieren wie Insekten. Der Austausch erfolgt über chemische Verbindungen, die häufig flüchtig sind. Diese Kommunikation ist existenziell, denn Pflanzen sind darauf angewiesen, dass in der Regel Tiere den Pollen transportieren. Daher senden sie nicht nur optische Signale sondern auch olfaktorische und andere Signale aus, um eine Blüte zu präsentieren.
Dieses Verhalten von Pflanzen fasziniert sehr, zeigt es doch, dass ein vermeintlich immobiles und wenig intelligentes Lebewesen sehr wohl intelligent auf die Umwelt reagieren, ja sie sogar beeinflussen kann. Niemand Geringeres als Charles Darwin schrieb 1880 in seinem Werk „The Power of Movements in Plants“, dass die Wurzelspitzen der Pflanzen wie die Gehirne niederer Tiere eingesetzt werden.
Dieser Befund ist heute in vielen Fällen wissenschaftlich bewiesen und untersucht. In einem kleinen Teil der Wurzelspitzen vieler Pflanzen finden intelligente Prozesse statt, die die Bewegung der Wurzeln koordinieren. Diese ähneln bei Luftwurzlern häufig den Bewegungen von Würmern und Raupen, so dass die Analogie zu niederen Tieren noch deutlicher wird.
Bedenkt man nun noch, wie groß der Wurzelapparat einer Pflanze ist, wird schnell deutlich, wie interessant und faszinierend das Phänomen Wurzelintelligenz ist! So hat der Wurzelapparat einer einzelnen Roggenpflanze eine Länge von 622 km. Doch die Wurzeln wachsen nicht hintereinander: Wie das Internet bildet die Pflanze ein Netzwerk aus intelligenten, dezentralen Einheiten, die miteinander verbunden sind und miteinander kommunizieren.
Auch ein Verlust von 90% des Wurzelapparats lassen die Pflanze überleben, was die Überlegenheit des dezentralen Wurzel-Netzwerks verdeutlicht. So verwundert es nicht, dass Mancusos Vortrag mit dem Plädoyer endet, die Pflanzen nicht nur nicht zu vergessen, sondern auch von ihnen zu lernen. Sie sind meisterhaft in der Eroberung neuen Terrains! Und damit hat das Internet ja gerade erst begonnen.
Autor: Dr. Dominik Große Holtforth